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Die Grenzen der Partizipation - wo und wie ich sie erlebe.

  • Autorenbild: Silvia Meck
    Silvia Meck
  • 11. Feb.
  • 6 Min. Lesezeit

Warum bin ich eigentlich Aktivistin – und warum gerade jetzt und immer noch?

Ein einzelner, kahler Baum steht inmitten einer hügeligen Landschaft mit Feldern und vereinzelten Bäumen im Hintergrund.
Kusel - Altenglan

Warum gerade jetzt, in einer Zeit, in der viele Menschen mit Behinderungen große Sorgen haben aufgrund der politischen Lage? Warum immer noch, nach mehr als einem Jahrzehnt und trotz meiner aktuellen persönlichen Situation?


Die Antwort darauf ist tief in meiner eigenen Geschichte verwurzelt. Es sind nicht nur die Ideale, die mich antreiben – es ist meine Erfahrungsexpertise als Mensch mit Behinderung.


Mein Leben war nie einfach. Ich habe Verletzungen erfahren – körperliche und seelische. Ich kenne Grenzen, die mir von außen gesetzt wurden, genauso wie die, die mein eigener Körper mir auferlegt. Schmerzen sind ein ständiger Begleiter, vielleicht auch eine Folge all der physischen und psychischen Traumata, die ich erlebt habe. Aber all das hat mich nicht gebrochen – es hat mich geformt.


Ohne diese Erfahrungen wäre ich nicht die, die ich heute bin. Und vielleicht hätte ich einen anderen, einen weniger fordernden Weg gewählt.


Ich habe mich entschieden, aktiv für Veränderung zu kämpfen. Vielleicht wäre mein Leben ruhiger, weniger konfrontativ, weniger von Kämpfen geprägt. Aber es wäre auch weniger wahrhaftig. Denn ich weiß, was es bedeutet, sich ohnmächtig zu fühlen. Ich weiß, wie es ist, wenn über einen entschieden wird, ohne dass man selbst mitsprechen kann. Und ich weiß, wie tief gesellschaftliche Strukturen Menschen kleinhalten können, die nicht ins vermeintliche Normbild passen. Genau deshalb bin ich aktiv. Nicht, weil ich es mir ausgesucht habe – sondern weil ich nicht anders kann. Weil es notwendig ist – wir haben ein Recht darauf, mitzugestalten.


Doch diese Verantwortung hat ihren Preis. Aktivismus kostet Kraft. Politische Teilhabe bedeutet oft, sich in einem System zu bewegen, das Veränderung nur oberflächlich zulässt oder sich gar dagegen sperrt. Gerade deshalb ist entscheidend, die eigene Balance zu wahren. Wie viel Energie kann und will ich investieren? Wo endet mein Aktivismus und beginnt mein persönlicher Raum? Diese Fragen begleiten mich ständig, denn ohne Momente der Ruhe kann ich meine Kraft nicht bewahren. Und irgendwann stellt sich die Frage: Wo liegt die Grenze des meist ehrenamtlichen Engagements?


Die Balance zwischen Engagement und Gelassenheit ist allgegenwärtig. Als Aktivistin, Selbstvertreterin, sozialpolitisch engagierte Person, aber auch in meinen vielfältigen Tätigkeiten bin ich ständig in Aktion. Die nächste Tagung, der nächste Auftrag, die nächste Debatte – es gibt immer etwas zu tun.

Einziger Vorteil ist: Ich müsste es nicht. Dennoch bleibt aufgrund der gefühlten inneren Notwendigkeit und Dringlichkeit kaum Raum, um innezuhalten und zu spüren: Ist das wirklich mein Weg? Ist das der Auftrag, den ich leisten kann und will?

Hier liegt die größte Herausforderung: das richtige Gleichgewicht zu finden. Ich will nicht aufhören, unbequem zu sein – aber ich will mich dabei auch nicht selbst verlieren. Denn ein ausgebrannter Aktivismus nützt niemandem, am wenigsten mir selbst. Deshalb suche ich immer wieder nach Wegen, meine Arbeit mit Momenten des Rückzugs zu verbinden. Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Ich habe gelernt, dass ich meine Energie nur dann langfristig erhalten kann, wenn ich mir Räume der Stille und Reflexion schaffe. Sei es durch das Schreiben, den Rückzug in die Natur oder bewusste Auszeiten – sie helfen mir, Kraft zu schöpfen und nicht auszubrennen.


Ist Partizipation wirklich für alle möglich? Wo wird sie eingeschränkt?


Partizipation ist ein zentrales demokratisches Prinzip, doch sie ist nicht für alle gleichermaßen zugänglich. Obwohl in Deutschland auf verschiedenen Ebenen – von der kommunalen bis zur Bundespolitik – Bürger*innen Mitwirkungsrechte haben, zeigt sich in der Praxis oft eine große Diskrepanz zwischen formaler und tatsächlicher Teilhabe.


Politische Prozesse sind komplex, bürokratisch und oft schwer verständlich. Während Wahlen und Volksentscheide als Instrumente der demokratischen Mitbestimmung etabliert sind, bleiben andere Formen der Bürgerbeteiligung für viele eine Herausforderung. Besonders für Menschen mit Behinderungen, für sozial benachteiligte Gruppen oder für diejenigen, die nicht über das nötige Wissen und die Netzwerke verfügen, ist es oft schwer, sich aktiv einzubringen.


Meine eigenen Erfahrungen in politischen und aktivistischen Kreisen haben mir gezeigt, dass Partizipation nicht immer gleichbedeutend mit echter Mitbestimmung ist. In vielen Gremien und Ausschüssen werden zwar Betroffene eingeladen, ihre Perspektiven einzubringen, aber ihre Stimme hat nicht dasselbe Gewicht wie die der Entscheidungsträger*innen. Oft wird Partizipation nur symbolisch ermöglicht – ein Feigenblatt, um den Anschein von Inklusion zu wahren, ohne dass tatsächlich Veränderung angestrebt wird.


Hier zeigt sich ein grundlegendes Problem: Politik und Machtstrukturen sind oft widersprüchlich. Einerseits gibt es Konzepte wie Empowerment und Inklusion, die Beteiligung fördern sollen. Andererseits erlebe ich immer wieder, dass bestimmte Gruppen innerhalb politischer und aktivistischer Kreise ihre eigenen Machtansprüche verteidigen. Es geht dann nicht mehr darum, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, sondern darum, wer in welchem Gremium sitzt, wessen Stimme am lautesten ist und wer über Netzwerke und Einfluss verfügt.

Was ist der Unterschied zwischen Mitbestimmung und Partizipation?


Oft werden die Begriffe „Mitbestimmung“ und „Partizipation“ synonym verwendet, doch es gibt wesentliche Unterschiede:


• Mitbestimmung bedeutet, dass Menschen an Entscheidungen beteiligt sind, die in einem gemeinschaftlichen Kontext getroffen werden. Es ist ein kollektiver Prozess, in dem Betroffene eine Stimme haben, aber nicht zwangsläufig die letztendliche Entscheidung treffen.


• Partizipation geht darüber hinaus. Sie bedeutet nicht nur, gehört zu werden, sondern aktiv an Entscheidungsprozessen mitzuwirken und diese mitzugestalten. Echte Partizipation erfordert daher nicht nur einen Sitz am Tisch, sondern auch reale Einflussmöglichkeiten.


• Selbstbestimmung hingegen betrifft individuelle Entscheidungen. Es geht darum, über das eigene Leben und die eigenen Bedingungen unabhängig von äußeren Strukturen bestimmen zu können.


Gerade in der politischen Landschaft zeigt sich, dass Partizipation oft auf Mitbestimmung reduziert wird. Bürger*innen dürfen zwar Vorschläge machen, Petitionen einreichen oder sich in lokalen Initiativen engagieren – doch ob ihre Anliegen tatsächlich umgesetzt werden, hängt von politischen Mehrheiten und Machtstrukturen ab.


Warum bin ich in die aktive Politik gegangen?


Politik wird im Parlament gemacht – nicht in den Gremien, nicht in den Arbeitsgruppen, nicht in den Bürgerforen.


So wichtig zivilgesellschaftliches Engagement auch ist, echte politische Veränderungen erfordern eine aktive Rolle in der Gesetzgebung.

Doch der Weg dorthin ist nicht einfach. Politische Strukturen sind oft von Machtinteressen geprägt, auch innerhalb der Parteien. Wer kein guter Redner ist, wer nicht strategisch Netzwerke aufbaut, wer nicht „die richtigen Leute“ kennt, hat es schwer. Und wer als unbequem gilt, erst recht.


Besonders auf kommunaler Ebene entscheidet sich oft, ob man überhaupt eine Chance auf weiterführende politische Arbeit hat. Denn ohne eine Basis, die hinter einem steht, bleibt jeder Versuch, auf Landes- oder Bundesebene etwas zu bewegen, aussichtslos. Doch genau dort beginnt die Herausforderung: Man muss Themen salonfähig machen, Mehrheiten finden – und das oft gegen Widerstände.


Für mich ist echte Partizipation mehr als ein Schlagwort – sie bedeutet Verantwortung zu übernehmen, und darum tue ich es. Meine Motivation ist: Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, müssen Menschen mit Behinderungen an den Tischen sitzen, an denen Gesetze geschrieben werden. Es reicht nicht, Vorschläge zu machen – wir müssen Teil der Entscheidungsprozesse sein.


Fazit: Wo und wie komme ich partizipativ an meine Grenzen?


Ich komme partizipativ an meine Grenzen, weil Partizipation oft nur eine Illusion ist. Weil sie zwar als Prinzip beschworen, aber nicht wirklich gelebt wird. Weil Teilhabe nicht für alle selbstverständlich ist, sondern erkämpft werden muss.


Ich stoße an Grenzen, wenn über Betroffene entschieden wird, ohne sie einzubeziehen. Wenn politische Machtspielchen wichtiger sind als echte Veränderung. Wenn Strukturen so festgefahren sind, dass neue Ideen erstickt werden, bevor sie wachsen können.


Ich stoße an Grenzen, weil Engagement anstrengend ist – nicht nur wegen des Kampfes nach außen, sondern auch wegen der Widerstände von innen. Weil selbst in Kreisen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, oft nur die lautesten Stimmen gehört werden.


Ich stoße an Grenzen, wenn Partizipation davon abhängt, ob jemand ins System passt. Wer unbequem ist, wer zu sehr hinterfragt, wer zu viel fordert, wird ausgegrenzt oder übergangen.


Ich stoße an Grenzen, weil mein Engagement von mir fordert, immer weiterzumachen, mich immer wieder neu zu beweisen – auch dort, wo längst klar sein sollte, dass ich eine Stimme habe.


Ich stoße an Grenzen, weil ich mich nicht nur als Aktivistin und Politikerin begreifen kann. Ich bin auch ein Mensch. Und so sehr ich für andere kämpfe, so sehr ich für Teilhabe streite – ich darf dabei mich selbst nicht verlieren.


Aber ich stehe auch an einer anderen Grenze. An der Grenze, an der ich selbst entscheide, wie weit ich gehe. Diese Grenze ist nicht nur von äußeren Strukturen vorgegeben, sondern auch von mir selbst. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, nicht nur für andere zu kämpfen, sondern auch für mich selbst. Balance bedeutet für mich nicht, weniger zu tun – sondern bewusst zu entscheiden, wann ich kämpfe und wann ich mir eine Pause erlaube und mir den Raum nehme, den ich brauche – für mich, für mein Leben, für meine eigenen Fragen.


Ich werde nicht aufhören, unbequem zu sein.

Ich werde nicht aufhören, Fragen zu stellen.

Ich werde mich nicht damit abfinden, dass über mich und viele andere entschieden wird, ohne dass wir gehört werden.

Ich werde nicht aufhören, für eine inklusive Gesellschaft zu kämpfen, in der jede Stimme zählt und niemand ausgegrenzt wird.


© Silvia Meck 11. Februar 2025

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