Schreiben als Therapie – Wie Worte heilen können
- Silvia Meck
- 7. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Apr.

Manchmal tragen wir Dinge in uns, die wir nicht aussprechen können. Gedanken, die sich festsetzen, Erinnerungen, die uns verfolgen, Gefühle, die keinen Raum finden. Sie kreisen in unserem Kopf wie ein Sturm – mal laut, mal leise, aber immer da. Gedanken, die uns nicht selten schlaflose Nächte bereiten. Wir denken, wenn wir nur genug nachgrübeln, würden sie sich auflösen. Stattdessen werden sie schwerer und schwerer, Tag für Tag.
Was auch immer diese Gedanken verursacht hat und uns möglicherweise aus der Bahn geworfen hat – das Schreiben ist der Moment, in dem dieser Sturm nach draußen darf. Es ist, als würde man eine Tür öffnen, durch die all das, was uns bedrückt, hinausströmen kann. Plötzlich sind die Gedanken nicht mehr eingesperrt, sondern stehen vor uns, greifbar, fassbar. Ein Gefühl, das vorher nur ein dunkler Schatten war, hat nun Worte, eine Form. Und wenn wir es einmal auf Papier gebracht haben, verliert es ein Stück seiner Macht über uns.
Vor 20 Jahren begann es mit einem Alptraum. Ein Traum, der sich immer wieder in meine Nächte schlich und mich schweißgebadet aufwachen ließ. Mit Herzrasen in der Brust, innerer Unruhe und fast Schock über das Geträumte – immer wieder wachte ich davon auf. Die Bilder und das Gefühl waren stets gleich. Irgendwann dachte ich: Vielleicht will mir dieser Traum etwas sagen? Und so begann ich, auch am Tage darüber nachzudenken.
Eine Nacht änderte alles. Ich stand auf, setzte mich an den Schreibtisch und begann – ohne nachzudenken – alles aufzuschreiben. Die Worte flossen aus mir heraus, formten sich zu Sätzen, die mir selbst fremd erschienen. Zum ersten Mal stand dieser Traum nicht nur in meinem Kopf – er war vor mir, schwarz auf weiß, sichtbar, fassbar. Und mit jedem Wort wurde er leichter.
Ich habe ihn für mich analysiert, jedes Bild, das sich daraus ergab, reflektiert und hinterfragt. Das Schreiben nahm mir die Angst vor dem Traum, die Angst vor der Nacht. Denn Schreiben nimmt dem Unaussprechlichen das Geheimnisvolle und bringt Klarheit. Wenn wir über etwas schreiben, können wir es aus einer anderen Perspektive betrachten – nicht mehr nur als etwas, das uns überfällt, sondern als etwas, das wir reflektieren, ordnen, vielleicht sogar verstehen können. Manchmal reicht es, Dinge einmal anders zu sehen, um sie neu bewerten zu können. Ein Wort auf Papier verliert die erdrückende Schwere, die es in unseren Gedanken hatte.
Indem ich meinen Traum außerhalb meines Kopfes hinterfragte, veränderte sich etwas. Ich begann, alle anschließenden Meditationen und Reflexionen niederzuschreiben – und immer wieder von außen zu betrachten. Es war ein tiefer innerer Heilungsprozess. Es war, als würde ich einen inneren Knoten lösen, den ich jahrelang mit mir herumgetragen hatte, ohne es zu merken.
Schreiben ist ein Loslassen – nicht im Sinne von Vergessen, sondern im Sinne von Verwandeln. Ein Schmerz, eine Angst, eine Erinnerung – sie sind nicht mehr nur chaotische Empfindungen in uns, sondern etwas, das wir mit einem Stift oder der Tastatur lenken können. Vielleicht können wir ihnen neue Bedeutungen geben. Vielleicht können wir Frieden mit ihnen schließen.
Manchmal halten wir an Dingen fest, die uns nicht mehr dienen. Weil wir Angst haben, dass sie Teil von uns sind. Doch was, wenn wir durch das Schreiben erkennen, dass wir sie gehen lassen dürfen?
Schreiben schafft Abstand. Es erlaubt, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen – wie ein Vogel, der hoch über einer Landschaft kreist und zum ersten Mal die ganze Weite erkennt. Es nimmt den Gefühlen die Macht, weil sie nicht mehr in uns eingeschlossen sind, sondern draußen auf dem Papier. Es ordnet das Chaos, gibt Struktur, wo vorher nur Verwirrung war.
Mir hat das Schreiben in all den Jahren geholfen. Denn wenn ich – auch heute noch – auf das Geschriebene blicke, dann merke ich: Ich bin nicht Opfer meiner Gedanken, sondern Gestalter meiner eigenen Geschichte.
Jeder von uns kann das sein. Und genau das ist die wahre Befreiung – der Schutz vor immer weiteren Herausforderungen, die Resilienz und die innere Stärke, die uns weitergehen lässt.
Vielleicht trägst auch du etwas mit dir herum, das dich nicht loslässt. Einen Gedanken, der immer wiederkehrt. Eine Erinnerung, die wie ein schwerer Stein in dir liegt. Versuch es. Öffne ein leeres Dokument oder nimm einen Stift zur Hand. Schreibe einfach los. Ohne Ziel, ohne Perfektion, ohne Angst, es „falsch“ zu machen.
Vielleicht bemerkst du dann, dass du die Dinge nicht nur aufschreibst – sondern sie langsam loslässt.
Schaffen wir damit nicht auch den Abstand, den wir brauchen? Der uns erlaubt, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen – wie ein Vogel, der hoch über einer Landschaft kreist und zum ersten Mal die ganze Weite erkennt?
Denn Schreiben ist nicht nur Ausdruck – es ist Befreiung.
© Silvia Meck 07. Februar 2025
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