Emotional Hochsensibel – Fluch und Segen
- Silvia Meck
- 7. Feb.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Feb.

Es gibt Momente, in denen sich die Welt auf einmal anders anfühlt. Ein Raum, in den ich trete, ist nicht einfach nur ein Raum – er ist voller Eindrücke, unausgesprochener Stimmungen, leiser Spannungen, geheimer Blicke. Es ist kein bewusstes Beobachten, kein absichtliches Lesen zwischen den Zeilen, es passiert einfach. In Sekundenschnelle.
Manche würden sagen, das ist eine Gabe. Ich sage: Es ist eine Herausforderung. Denn nicht immer möchte ich so tief eintauchen. Nicht immer möchte ich erkennen, was andere sich selbst noch nicht eingestehen. Nicht immer will ich spüren, was unausgesprochen bleibt. Doch Hochsensibilität bedeutet genau das – Dinge wahrzunehmen, die für andere noch nicht greifbar sind.
Und das führt zu Konflikten. Was für mich klar ist, existiert für andere vielleicht noch gar nicht. Eine unausgesprochene Distanz zwischen zwei Menschen, ein Machtspiel, eine subtile Manipulation – ich sehe es, aber was bringt es? Die Wahrheit ist nicht immer willkommen. Manchmal wird sie geleugnet, manchmal als Überempfindlichkeit abgetan. Also schweigt man. Lernt, sich anzupassen, nicht immer alles auszusprechen, nicht immer alles ernst zu nehmen. Aber es kostet Kraft.
Mit der Zeit lernt man, sich zu schützen. Hochsensible brauchen Rückzug, Stille, Alleinsein. Nicht, weil sie nicht gesellschaftsfähig wären, sondern weil es notwendig ist. Es ist die einzige Möglichkeit, die Reizüberflutung zu verarbeiten, sich wieder zu sortieren, Abstand zu gewinnen. Und doch gibt es diese Situationen, die einen überrollen, die Schutzmechanismen durchbrechen, die zu viel sind.
Vor ein paar Tagen ist genau das passiert. Eine Person, die ich kenne, hat mir von ihrer Erfahrung mit Gewalt in der Psychiatrie erzählt. Ich war nicht vorbereitet, konnte mich nicht abgrenzen. Die Worte haben sich in meinen Gedanken festgesetzt: Zwang, Gewalt, Folter. Ich bin geschockt, traurig, komme aus dem Weinen nicht heraus. Und in ein paar Wochen sitze ich in einer Besuchskommission – ich frage mich, ob ich das schaffe.
Es ist nicht das erste Mal, dass mich die Grausamkeit der Welt aus der Bahn wirft. Leid, Schmerz, Ungerechtigkeit – all das spüre ich tief. Zu tief. Es ist eine ständige Gratwanderung: Wie viel Nähe ertrage ich? Wie viel Distanz brauche ich? Wie kann ich mich schützen, ohne mich zu verschließen? Es gibt keine einfache Antwort.
Manchmal helfen kleine Anker im Alltag, um sich zu stabilisieren. Musik, Natur, Bewegung, Momente der Stille. Ein bewusstes Durchatmen, eine kurze Pause von all den Gedanken. Etwas, das den Blick wieder weitet, das Gefühl gibt, nicht nur im Schmerz festzustecken. Doch gerade in solchen Momenten wird mir bewusst, wie viele Menschen ich in den letzten Jahren verloren habe. Partner, Eltern, Freunde, Tiere. Mehr als zwei Hände voll. Menschen, die einfach da gewesen wären. Die mit ausgehalten hätten, ohne zu fragen, ohne zu bewerten.
Und trotzdem geht es weiter. Gedanken kommen, Gedanken gehen. Gefühle ebben ab, nur um in anderen Momenten wieder mit voller Kraft zurückzukehren. Vielleicht ist das einfach der Weg – lernen, immer wieder neu damit umzugehen.
© Silvia Meck 07. Februar 2025
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